Arbeitsunfall Alkohol - Roman - Arbeitsunfall, Wegeunfall, Berufskrankheit Rechtsanwälte Battenstein & Battenstein | Arbeitsunfall & Arbeitsunfälle

Arbeitsunfall Alkohol


Die 13 - "Sie können der Nächste sein"
Arbeitsunfall, Wegeunfall, Berufskrankheit

2. Alkohol
"selber schuld"


"Unfallverhütung" durch berufsgenossenschaftlichen Leistungsausschluß

Der besondere Fall:
Tod des Handelsvertreters N. .
N. war bei der Firma D. in Hannover beschäftigt. Nach den gerichtlichen Feststellungen des Landessozialgerichts hatte ihn der bei derselben Firma beschäftigte Vertreter H. um 07.30 Uhr zu einer Geschäftsfahrt mit einem der Firma gehörenden, von H. gesteuerten PKW abgeholt. Den ganzen Tag über tätigten die Handelsvertreter N. und H. geschäftliche Verhandlungen. Abends sollte noch ein Kunde in einer Gastwirtschaft getroffen werden. Dieser blieb
jedoch aus. H. und N. hielten sich in der Gastwirtschaft etwa von 23.00 bis 24.00 Uhr auf und tranken Bier und Kaffee. Auf dem Heimweg fuhr nach Zurücklegung von etwa 15 km der PKW, den H. als Fahrer führte, auf den beleuchteten Anhänger eines langsam und vorschriftsmäßig rechts fahrenden Lastzuges auf. Der Fahrer H. und den neben ihm sitzende N waren sofort tot. Bei H. wurde ein Blutalkoholgehalt von 2,95 Promille ermittelt. Von N. wurde keine Blutprobe entnommen.

Während die Berufsgenossenschaft offenbar in beiden Fällen den Versicherungsschutz verneinte, erkannte immerhin das Bundessozialgericht in diesem Fall (Nachweis bei Podzun Der Unfallsachbearbeiter 120, Seite 13) auf Entschädigung zugunsten der Hinterbliebenen des Mitfahrers und Handelsvertreters N..

Die Kausalität der Betriebsarbeit für den eingetretenen Unglücksfall wurde allerdings in beiden Fällen nicht wirksam aufgehoben.

Hätten die beiden Handelsvertreter nicht die Geschäftsfahrt für einen langen Arbeitstag angetreten, wären sie nicht auf dem Heimweg davon tödlich verunglückt.

Es handelt sich also bei der Betriebsarbeit um die conditio sine qua non (Bedingung ohne die nicht) für den eingetretenen Unfall.

Angemerkt sei, daß in Deutschland nicht nur die eigentliche Arbeit versichert ist, sondern auch die Wege zur Arbeit, von der Arbeit nach Hause etc. unter Versicherungsschutz stehen.

Mißt man den Fall an der gegebenen Definition des Arbeitsunfalls (siehe zur Definition Fall Nummer 1, Seite 2), läßt sich zumindest eine Mitursächlichkeit in keinem der beiden Fälle leugnen.

Fraglich ist, ob die betriebliche Mitursächlichkeit im vorliegenden Fall wesentlich war. Nach der Rechtsprechung der Sozialgerichtsbarkeit findet nämlich eine Bestimmung der Wesentlichkeit der beruflichen Bedingung statt.

Die Wesentlichkeit beurteilt sich nach der praktischen Lebenserfahrung.

Der Leser mag sich also selbst fragen, ob nach seiner praktischen Lebenserfahrung die Kausalität der Ge- schäftsreise für den Tod des H. völlig aufgehoben ist.

Dabei sei dem Beurteiler noch der Hinweis an die Hand gegeben, daß nach dem bisher gültigen § 548 Abs. 3
RVO ausdrücklich vorgeschrieben war:

"Verbotswidriges Handeln schließt die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht aus."

Mithin greift der Einwand nicht "selber schuld".

Wie aber ist es dann möglich, den Versicherungsschutz jedenfalls für den Handelsvertreter H. zu verneinen?

Hier spielen, wie gelegentlich in einem BSG-Urteil zum Ausdruck gebracht, Gesichtspunkte der Abschreckung
bzw. der Unfallverhütung eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Daß solche Gesichtspunkte in der sozialen Entschädigungspraxis der Berufsgenossenschaften nichts zu suchen haben, stört dabei offenbar herzlich wenig.

Mit der Übernahme des Begriffs der absoluten Fahruntüchtigkeit aus dem Strafprozeß kommt man bequem
zur berufsgenossenschaftlichen Ablehnung.

Die Formel erscheint als griffig und einfach.

Ist der Versicherte absolut fahruntüchtig (heutige Grenze 1,1 Promille), soll der Beweis des ersten Anscheins
(prima facie Beweis) dafür gelten, daß der Alkohol die allein bedeutsame Unfallursache ist.

An dieser Beweisregel halten die Berufsgenossenschaften nachgerade unerschütterlich fest.

Dabei ist eine solche Beweisführung der Berufsgenossenschaft rechtlich schon dann gescheitert, wenn die
ernstliche Möglichkeit des atypischen Verlaufs besteht.

Im Falle des Handelsvertreters H. könnten dies eine betriebliche Übermüdung sein, die Verhältnisse einer Nachtfahrt im Dunkeln etc..

Solche Bedenken würde die Praxis aber ohne weiteres beiseite schieben.

Die Hinterbliebenen von derart tödlich Verunglückten, die ihre Hinterbliebenenversorgung vor dem Sozialgericht erstreiten, müssen sich in eine andere Gerichtsbarkeit versetzt wähnen, nämlich in den Strafprozeß, wo Strafe und Abschreckung legitime Mittel sind.

Dies kann aber nicht ernstlich für den Sozialgerichtsprozeß angenommen werden.

Die Rechtsprechung läuft hier deutlich auch dem Auslegungsgrundsatz des § 2 II Sozialgesetzbuch 1 zuwider.

Danach muß bei Auslegung der gesetzlichen Vorschriften des Sozialgesetzbuches einschließlich der Reichsversicherungsordnung gewährleistet sein, daß die sozialen Rechte der Anspruchsteller möglichst weitgehend verwirklicht werden.

Zurück zur Frage der Kausalität:

Verunglückt ein Taxifahrer, der aus innerer Ursache ohnmächtig geworden in den Kreuzungsbereich einfährt, reicht allein bereits die betriebliche Wegegefahr ggfs. für den Versicherungsschutz.

Selbst wenn man also beim Handelsvertreter den berufsüblichen Alkoholgenuß als rein eigenwirtschaftlich betrachtet, entfallen nicht schon deshalb die Wegegefahren.


Man könnte also sowohl im Fall des Handelsvertreters H. alsauch im Fall des Handelsvertreters N. berufsgenossenschaftlich helfend eintreten, statt die Betroffenen ihrem Schicksal auszuliefern. Gegenüber den Hinterbliebenen des N. hat die Berufsgenossenschaft im Ergebnis gottlob erfolglos den Einwand der sogenannten selbst geschaffenen Gefahr bemüht.

Für N. als Mitfahrer bestand keine offizielle Promillegrenze, die man aus den Gepflogenheiten des Strafprozesses hätte übernehmen können.

Es sei einmal das Schema angerissen, daß nach der gegenwärtigen Rechtsprechung Anwendung findet.

Der Vollrausch löst den Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit.

Aber nicht immer.

Weist der Geschäftsreisende auf dem beruflichen Flug nach Amerika oder in der Eisenbahn eine Alkoholkonzentration selbst von mehr als 3 Promille auf, bleibt der Versicherungsschutz erhalten, wenn das Flugzeug abstürzt oder der Zug verunglückt und alle Reisenden etwa zu Tode kommen.

Bei minderer Alkoholkonzentration kann wie oben bezeichnet für den Pkw-Fahrer eine absolute Fahruntüchtigkeit vorliegen mit der Folge, daß nunmehr der sogenannte prima-facie-Beweis gegen den Betroffenen ins Feld geführt wird, der Alkohol wäre danach die allein bedeutsame Ursache gewesen.

Bei relativer Fahruntüchtigkeit, also einer Blutalkoholkonzentration von unter 1,1 Promille, müßte die Be
rufsgenossenschaft in der Praxis schon konkrete Trunkenheitszeichen nachweisen, beispielsweise Fahren von
Schlangenlinien, um im Ernstfall den Versicherungsschutz verweigern zu können.

Es gibt Fälle, in denen man versucht hat, bereits den Genuß von einem bis zwei Glas Bier durch Leistungsausschluß gegenüber dem verunglückten Pkw-Fahrer zu ahnden.

Für Fußgänger gibt es bislang, obwohl angedacht, offenbar noch keine Promillegrenze in bezeichnetem Sinne.


Rechtsweghinweis:
Erteilt die Berufsgenossenschaft nur eine formlose schriftliche Ablehnung, sollte unmittelbar Antrag auf förmlichen, rechtsbehelfsfähigen Bescheid bei der Berufsgenossenschaft gestellt werden.

Wird diesem Antrag nicht entsprochen, kann Untätigkeitsklage erhoben werden.

Gegen einen ablehnenden rechtsbehelfsfähigen Bescheid kann Widerspruch erhoben werden.

Gegen den Widerspruchsbescheid kann Klage zum Sozialgericht erhoben werden.

Das Sozialgerichtsurteil kann mit der Berufung angefochten werden.

Läßt das Landessozialgericht die Revision nicht zu, kommt eine Nichtzulassungsbeschwerde in Betracht.

Nur muß man wissen, daß in den seltensten Fällen überhaupt je einer Nichtzulassungsbeschwerde vom Bundessozialgericht entsprochen wird.

Die negative Quote erscheint als so fatal wie unumstößlich.

Ist die Revision zugelassen, kann Revision zum Bundessozialgericht erhoben werden.

Der falscheste Einwand in Unfallsachen, welche durch Mitwirkung einer Blualkoholkonzentration gekennzeichnet sind, geht dahin, ein nüchterner Verkehrsteilnehmer wäre nicht verunglückt.


Mit einem solchen Einwand wird einmal die Kausalitätsnorm in der gesetzlichen Unfallversicherung mißachtet, daß wesentliche Mitursächlichkeit für den Versicherungsschutz ausreicht.

Bei der Kausalitätsnorm in diesem Sinne, daß wesentliche Mitursächlichkeit zu berücksichtigen ist, handelt es sich um in Jahrzehnten gewachsenes Gewohnheitsrecht.

Zum anderen werden mit einem solchen Einwand, ein nüchterner Verkehrsteilnehmer wäre nicht verunglückt, einmal mehr unzulässig hypothetisch reserveursächliche Einwände vorgeschoben.

Es kann nicht sein, daß den Berufsgenossenschaften die Wegegefahren etwa auf den Autobahnen offenkundig bekannt sind, siehe die vielen Plakate des Verbandes der Berufsgenossenschaften an den Autobahnen, und daß dann andererseits allein auf private Ursachen abgestellt wird, um berufsgenossenschaftlich den Versicherungsschutz zu verneinen.

Aber dies wird uns auch im anderen Zusammenhang begegnen, etwa bei den Berufskrankheiten in Form der Asbestlungenkrebsfälle (siehe Fall Nummer 11)

Dort erscheinen die Aufgaben als verteilt.

Die Berufsgenossenschaft ermittelt die Rauchgewohnheiten des Versicherten, während die Witwe herausfinden muß, wo ihr Ehemann beruflich durch Asbest gefährdet worden ist.

Daß auch im abgelehnten Altfall eine Überprüfung nach § 44 SGB V beantragt wurde, beleuchtet noch die folgende Fallgestaltung, welche der Verfasser anwaltlich betreut hat:

Der Meister hatte den Mandanten der Arbeitsstätte verwiesen, weil dieser alkoholisiert gewesen wäre.
Beim Verlassen des Betriebsgeländes, das Betriebs tor war bereits verschlossen, stürzte der Versicherte vom Betriebstor hinunter mit der Folge bleibender Fußverletzungen. Ohne auch nur ein Wert der Blutalkoholkonzentration zu kennen, wurde der Fall seinerzeit berufsgenossenschaftlich abgelehnt. Im Überprüfungsverfahren, das der Verfasser in die Wege geleitet hatte, mußte ein Arbeitsunfall anerkannt mit der Festsetzung einer laufenen Dauerrente und Verletztengeldnachzahlung von über DM 1OO.OOO,--.


** Die obigen rechtlichen Ausführungen stellen naturgemäß keine Rechtsberatung dar, sondern sollen lediglich als erste Information und Orientierung dienen. Dabei ist zu beachten, dass sich die Rechtslage auch jederzeit ändern kann und die obigen Ausführungen insofern nicht in jedem denkbaren Fall die jeweils aktuellste Rechtslage darstellen können.

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