Familenheimfahrt, Fluor, Handlungstendenz, und Fünfzig-Prozent-Hürde

C. Sonderfälle von F

Berufskrankheiten – Übersicht A-Z

F wie Familienheimfahrt

Fall: Der deutsche Mitarbeiter einer Firma in Deutschland wird zur Arbeit nach Südamerika entsandt. Frau und Kinder bleiben weiterhin wohnhaft in Deutschland. Auf dem Rückflug nach Deutschland zum Jahresurlaub ereignet sich der Absturz des Flugzeuges.

Auch auf diesem Wege besteht Versicherungsschutz genauso wie im umgekehrten

Fall: Ein türkischer Gastarbeiter tritt seinen Jahresurlaub an, um Frau und Kinder zu besuchen. Nach 3.000 km Wegstrecke schläft er am Steuer ein und verunglückt tödlich.

Ergebnis: In beiden Fällen schuldet die Berufsgenossenschaft die Entschädigung gegenüber den Hinterbliebenen.

F wie finale Handlungstendenz

Mit der Einführung des Begriffs versuchte man berufsgenossenschaftlich, der Kausalitätsprüfung bzw. Prüfung des Ursachenzusammenhangs wertende Kriterien oder Gesichtspunkte beizumengen. Ende der 80er Jahre fand dieser berufsgenossenschaftliche Gedanke Eingang in die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Das Ergebnis ist, daß nunmehr in den Urteilen die Handlungstendenz der betroffenen Personen zunehmend gewertet wird. Statt also die Kausalität zu prüfen, wird im Kernbereich des Ursachenzusammenhangs neuerdings immer mehr gewertet, mit der Folge, daß heute häufiger der Versicherungsschutz verneint wird. Einem unbedarfteren Gemüt, der sich bei seiner Tätigkeit nichts denkt oder weniger denkt, kann es an der finalen Handlungstendenz gebrechen bzw. fehlen.

Im Berufskrankheitenbereich hat man im Wege dieser Wertung der Reinigung von Arbeitskleidung durch die Ehefrau (diese erkrankte Jahrzehnte später an einem Asbestkrebs) nachgerade sachwidrig nur private Momente abgewinnen können, angeblich Ausführung ehelicher Pflichten, siehe näher zu Berufskrankheit „wie ein Versicherter“.

Vorsicht: Das Ausufern der Wertung, welche die Einführung des Begriffs der finalen Handlungs-tendenz nach sich zieht, läßt die bislang übliche Kausalitätsprüfung anhand einer soge-nannten Kausalitätsnorm der gesetzlichen Unfallversicherung und das dahingehende Gewohnheitsrecht in Vergessenheit geraten.

Bei einer Kausalitätsprüfung oder Beurteilung des Ursachenzusammenhanges hätte man im Fall der Ehefrau nicht übersehen können, daß diese „wie ein Versicherter“ die kanzerogen verschmutzte Arbeitskleidung ihres Mannes reinigte. Der Fehler liegt in diesem Zusammenhang in der Beliebigkeit von Wertungen.

F wie Fluor

Erkrankungen durch Fluor und seine Verbindungen finden sich in der Berufskrankheitenliste zu Nr. 1308. Flußsäure wird unter anderem als Ausgangsstoff für Fluorverbindungen, zum Glasätzen, -mattieren und -polieren, bei der Gebäudereinigung, zum Beizen und Glänzen von Edelstählen, zur Entkieselung und in der Galvanotechnik benötigt. Gefahren durch Fluoride können z.B. bei der Anwendung als Fluß- und Trübungsmittel in der Emaille- und Glasindustrie, bei vielen galvanischen Prozessen, beim Schmelzen von Metallen, beim Schweißen und Löten von Leichtmetallegierungen, in der Farben- und Erdölindustrie und besonders bei der elektrolytischen Herstellung von Aluminium auftreten. Auch bei der Schädlingsbekämpfung und Holzkonservierung sowie beim Wasserdichtmachen von Kunststeinfußböden und Zement (Fluatieren) werden Fluorverbindungen verwendet. Den meisten als Treibmittel (Freone) , für Druckgaspackungen, zur Kunststoffverschäumung, als Löschmittel (Halone), Kältemittel, Extraktions-, Löse-, Reinigungs- und Verdünnungsmittel verwendeten aliphatischen Fluorverbindungen kann auch eine Toxizität zukommen. Fluorverbindungen können inhalativ wie perkutan, eventuell auch oral einwirken. Massive Einatmung kann akut zu Lungenödem und chronisch zu bleibenden Schäden am Atemtrakt führen. Fluorwasserstoff oder Fluoridstaub können nach langjähriger Einwirkung rheumatoide Beschwerden auftreten. Man spricht von einer Knochenfluorose. Früher wurden offenbar nur Erkrankungen der Knochen, Gelenke und Bänder entschädigt. Heute ist die Berufskrankheitenbezeichnung weiter gefaßt, sodaß auch ein Lungenödem und Atemwegsschaden entschädigt werden kann.

F wie Fünfzig-Prozent-Hürde

Bei der Ausarbeitung dieses Ratgebers und der damit verbundenen Sichtung der Praxis stellt sich immer deutlicher als ein kapitaler Fehlansatz zu Ihrem Schaden als Betroffener heraus, daß die Gerichte genauso wie die Berufsgenossenschaften und die Gutachter eine 50 % – Hürde vor der Anerkennung Ihres Falles oder Ihrer Rente errichten. Das sieht dann so aus, daß man den Gutachter befragt, ob denn die Mitursächlichkeit der beruflichen Ursache wenigstens gleichwertig war, wenn man überhaupt eine Mitursächlichkeit beruflicher Art genügen zu lassen bereit ist. Die Empfehlungen im Rahmen der beruflichen Hauterkrankungen gehen dahin, berufliche Ursachen nur zu berücksichtigen, wenn diese gleichwertig sind. Bei der Verordnungsgebung zur Berufskrankheitenliste macht man den gleichen Fehler im Bundesarbeitsministerium. Man verlangt vor Erweiterung der Berufskrankheitenliste um einen neuen Tatbestand, daß hier eine Verdoppelung des normalen Risikos zu erkranken durch den Listenstoff bzw. durch die Berufsarbeit zu verzeichnen ist. Dieser Fehlansatz liegt also der Anforderung von 25 sogenannten Asbestfaserjahren im Zusammenhang mit dem Lungenkrebs zugrunde. Selbstverständlich ist auch eine berufliche Einwirkung von 15 oder 20 Asbestfaserjahren im Zusammenhang mit einem Lungenkrebs eine wesentliche Mitursache. Die Errichtung der 50 % – Hürde in den Beweisbeschlüssen der Gerichte und der Verordnungsgebung seitens der Bundesregierung stellt eine ganz einschneidende Verletzung der in der Gesetzlichen Unfallversicherung gewohnheitsrechtlich anerkannten Kausalitätsnorm dar in dem Sinne, daß wesentliche Mitursächlichkeit der beruflichen Ursache genügt, die auch bei einem Gewicht von „nur“ 20 % sehr wesentlich sein kann.

Tip: Vergegenwärtigen Sie sich die Höhe der Fehlerquote bzw. die Fallzahl von rechtswidrigen Ablehnungen des Versicherungsschutzes, die sich aus der Anwendung der sogenannten 50 % – Hürde ergibt.

Es ist nicht ausgeschlossen, daß hier die Hälfte der berechtigten Ansprüche auf diesem Wege zum Scheitern verurteilt wird, was man bei den Berufskrankheiten übrigens deutlich sehen kann, etwa bei den Asbestlungenkrebsfällen.

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