Der Sozialgerichtsprozeß – Klage – Berufung – Beschwerde

13. Die einzelnen Schritte im Sozialgerichtsprozeß

13.1 Wie und wo erhebe ich die Klage?

Die Klage ist bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben. Die Frist für die Erhebung der Klage gilt auch dann als gewahrt, wenn die Klageschrift innerhalb der Frist statt bei dem zuständigen Gericht der Sozialgerichtsbarkeit bei einer anderen inländischen Behörde oder bei einem Versicherungsträger (z.B. Berufsgenossenschaft) oder bei einer deutschen Konsularbehörde oder, soweit es sich um die Versicherung von Seeleuten handelt, auch bei einem deutschen Seemannsamt im Ausland eingegangen ist.

13.2 In welcher Frist erhebe ich die Klage?

Die Klagefrist beträgt grundsätzlich einen Monat. Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen Rechtsbehelf beginnt nur dann zu laufen, wenn eine schriftliche Rechtsbehelfsbelehrung dem Bescheid etwa beigegeben war. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei.

13.3 Muß die Klage begründet werden?

Auch wenn Sie die Klage nicht weiter begründen, was allerdings tunlich ist, muß das Gericht in eine Überprüfung eintreten. Sie können auch selbst Klage erheben mit dem Zusatz: „Die Begründung erfolgt durch meinen Anwalt.“

13.4 Wie und wo lege ich Berufung ein?

Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht einzulegen, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.

13.5 In welcher Frist ist die Berufung einzulegen?

Die Berufungsfrist beträgt einen Monat.

13.6 Wie begründe ich die Berufung?

Sie sind in der Begründung der Berufung frei. Sie können kritische Überprüfung des Urteils allgemein erbitten. Sinnvoller ist, wenn Sie konkrete Gründe vorbringen, weshalb das Urteil nach Ihrer Meinung falsch ist. Eine Unsitte ist es, wenn im Urteil lapidar auf die Begründung der angefochtenen Bescheide der Berufsgenossenschaft Bezug genommen wird, als ob nicht aller Anlaß zu einer kritischen Überprüfung bestünde, dies schon auf Grund der sogenannten Gewaltenteilung zwischen Rechtsprechung und Behördenpraxis bzw. Verwaltung. Die 1. Instanz beim Sozialgericht und die 2. Instanz beim Landessozialgericht sind sogenannte Tatsacheninstanzen, wo also jeweils von Amts wegen gerichtlich zu ermitteln ist. Deshalb können Sie sich auch einen Antrag nach § 109 SGG, Begutachtung durch einen Gutachter Ihres Vertrauens, für die 2. Instanz, d.h. das Berufungsverfahren aufsparen.

13.7 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision

Fall: Ein Jäger hilft einem Landwirt bei der Schlachtung eines Schweins. Der Bolzenschuß zur Betäubung des Schweins mißglückt. Beim Versuch, das sich heftig widersetzende Zweizentnerschwein abzustechen, erleidet der Jäger noch an der Schlachtstelle einen Herztod. Die Berufung der Witwe wegen Anerkennung des Versicherungsschutzes „wie ein Versicherter“ wies das Landessozialgericht zurück mit der Begründung, es hätte in jedem Fall nachgewiesen werden müssen, daß aufgrund des Ereignisses die Lebenszeit des Jägers um mindestens 1 Jahr verkürzt worden wäre. Die Revision ließ das Landessozialgericht nicht zu.

In einem solchen Fall konnte und mußte Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden mit dem Ziel, daß das Bundessozialgericht die Revision zuläßt. Die Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beträgt 1 Monat. Die Beschwerde ist innerhalb von 2 Monaten nach Zustellung des Berufungsurteils zu begründen. Der absolut gestellte Rechtssatz des Berufungsgerichtes, in der Unfallversicherung wäre nur eine Lebzeitenverkürzung um mindestens ein Jahr beachtlich, ansonsten könnten keine Hinterbliebenenleistungen zuerkannt werden, kollidierte mit aller bekannten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Weil diese Einjahresregel nur dann Anwendung finden darf, wenn nicht anderweitig eine berufliche Mitursächlichkeit des Unfalls für den Todeseintritt feststellbar ist, ließ das Bundessozialgericht auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin die Revision zu. Angemerkt werden darf, daß der Fall später nach Zurückverweisung an das Landessozialgericht im erneuten Termin zur mündlichen Verhandlung schließlich zur Anerkennung und Entschädigung seitens der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft kam. Wenngleich Sie hier eine erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerde kennen lernen, so täuschen Sie sich bitte nicht. Der mit Abstand größte Teil der Nichtzulassungsbeschwerden wird dem Vernehmen nach verworfen bzw. zurückgewiesen. Mag die Rechtssache aus Ihrer Sicht noch so grundsätzliche Bedeutung haben oder die Entscheidung des Landessozialgerichts etwa von einer Bundessozialgerichtsentscheidung abweichen oder der Verfahrensmangel deutlich sein, so kommen Sie gegen die Ablehnungsquote nicht an, welche im Ergebnis bei den Nichtzulassungsbeschwerden anfällt.

Die ablehnenden Beschlüsse des Bundessozialgerichts sind oft sehr formelhaft gehalten und weisen nachgerade extreme Anforderungen auf, was die Revisionszulassung anbetrifft. Was noch weniger einleuchtet, ist der Hinweis von Repräsentanten des Bundessozialgerichts, daß etwa nicht genügend einschlägige Fälle aus den Problembereichen z.B. der Berufskrankheiten nicht auf das Bundessozialgericht zukommen würden. Hier hat es das Bundessozialgericht selbst in der Hand, durch eine Änderung der Zulassungspraxis, und zwar in Form der Reduzierung der Anforderungen, sich der Dinge anzunehmen, welche es höchstrichterlich zu klären gilt.

Hinweis: Mancher Rechtssuchende hat allerdings den Eindruck, daß er im Instanzenweg, Sozialgericht, Landessozialgericht, Bundessozialgericht, eine zunehmende Verschärfung vorfindet, was die Entgegennahme seines Anliegens anbetrifft.

Tip: Verwirft das Bundessozialgericht die Nichtzulassungsbeschwerde oder wird die Nichtzulassungsbe-schwerde zurückgewiesen, ist dies nicht unbedingt das Ende der Fahnenstange. Sie können Überprüfungsantrag bei der Berufsgenossenschaft stellen und rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu Ihrem Überprüfungsantrag beantragen.

Andererseits könnten übrigens die Landessozialgerichte ihrerseits erheblich öfter oder überhaupt die Revision zum Bundessozialgericht zulassen, statt wie in der Praxis nicht gerade selten zu erleben die Berufungsurteile nichtzulassungsbeschwerdesicher zu machen, oft unter deutlicher Konstruierung der Begründung. Die Begründung wird dann mitunter so gewählt, daß durch den vom Landessozialgericht eingenommenen Standpunkt, der dann recht bizarr sein kann, die Grundsatzfrage umgangen wird oder eben der Beweisantrag, welcher bei einer angemessenen Begründung als erheblich hätte angesehen werden müssen.

Beispiel: Dem berufskranken Lärmschwerhörigen wird von der Berufsgenossenschaft die Verletztenrente nach einer MdE von 10 % bei Stützsituation mit der Begründung entzogen, neuere Gutachten hätten eine MdE von wörtlich „unter 10 %“ ergeben. Der Kläger bezieht sich demgegenüber auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, daß eine Schätzung der MdE durch die Berufsgenossenschaft so lange als rechtmäßig anzusehen ist, als eine spätere Schätzung nicht um mehr als 5 vom Hundert von der früheren abweicht.

Das Landessozialgericht weiß, daß eine berufliche Lärmschwerhörigkeit sich nicht bessern kann, sondern irreversibel ist.

Frage: Darf das Landessozialgericht, das die Berufung des Klägers wegen der Rentenentziehung abweist, ohne eigene HNO-Sachkunde entgegen den neuen Gutachten trotz anerkannter Lärmschwerhörigkeit und Ohrgeräusche nunmehr die MdE-Schätzung der ärztlichen Gutachter von wörtlich „unter 10“ auf „0 %“ herunterstufen? Damit würde dann einer auf Abweichung von der höchstrichterlichen Recht-sprechung gestützten Nichtzulassungsbeschwerde gewissermaßen der Wind aus den Segeln genommen sein können.

13.8 Der kurze Revisionsprozeß
13.8.1 Wie und wo lege ich Revision ein?
13.8.2 In welcher Frist lege ich Revision ein?
13.8.3 Gegenstand der Revision
13.8.4 Die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung

 

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