Lungenfibrose durch Metallstäube

B. Versicherungsfälle:Berufskrankheit und Arbeitsunfall

 

5.3.7 Erkrankungen an Lungenfibrose durch Metallstäube bei der Herstellung oder Verarbeitung von Hartmetallen, BK Nr. 4107

Hartmetalle sind pulvermetallurgisch erzeugte Werkstoffe, die sich durch ihre große Verschleißfestigkeit, Temperatur- und Korrosionsbeständigkeit auszeichnen. Man unterscheidet Sinterhartmetalle, Aufschweißlegierungen und Aufspritzpulver auf Carbidbasis. Nur noch geringe Bedeutung sollen heute die Gußcarbide haben. Sinterhartmetalle bestehen vorwiegend auch hochschmelzenden Carbiden von besonders geeigneten Metallen, wie Wolfram, Titan, Tantal, Niob, Molybdän, Chrom und Vanadium. Als Bindemittel sind Kobalt, selten Nickel oder Eisen zugesetzt. Die Herstellung von Sinterhartmetallen verläuft über mehrere Stufen: Das feingemahlene Carbidpulver wird mit dem Metallpulver vermischt, isostatisch zu einer Form gepreßt und bei ca. 600 bis 900 Grad C. vorgesintert. Nach anschließender Rohbearbeitung in Form von Schleifen, Bohren, Sägen, Drehen erfolgt die Fertigsinterung bei ca. 1.350 bis 1.600 Grad C. im Vakuum oder unter Schutzgas. Sinterhartmetalle werden als Schnittwerkzeuge in der spangebenden Verarbeitung bei der Metallbearbeitung, als Mahlwerkzeuge, bei der Gesteinsbearbeitung ( Bergbau und Tunnelbau), bei der spanlosen Bearbeitung, als Preß- und Ziehwerkzeuge (Draht) und als Verschleißschutz eingesetzt. Aufspritzpulver etwa bestehen aus gegossenen Wolframcarbidkörnern und einem Bindematerial (Basis Nickel – Chrom – Bohr). Diese Pulver werden mittels Auftragsbrenner oder Aufspritzpistolen auf verschleißbeanspruchte Stahlteile aufgebracht. Gefahrenquellen sind insbesondere Stäube beim Mahlen und Mischen der Ausgangsstoffe (Carbide), Dämpfe und Rauche beim metallischen Verhüttungsprozeß in Sinteröfen, d.h. beim Reduzieren, Karburieren, Vorsintern und Fertigsintern der Ausgangsstoffe oder Zwischenprodukte, Stäube bei der Rohbearbeitung, z.B. beim Drehen, Bohren, Sägen und Schleifen der vorgesinterten Teile, Stäube bei der Feinbearbeitung, z.B. beim Schleifen mittels Diamant- oder Korundscheiben des fertiggesinterten Materials sowie bei der Nachbearbeitung von Schneidwerkzeugen. Unter allen Exponierten sind die Hartmetallschleifer offenbar am stärksten gefährdet, an einer Lungenfibrose zu erkranken. Besondere Bedeutung scheint hierbei das Kobalt zu haben. In der Dermatologie, also bei den beruflichen Hauterkrankungen etwa, sind Nickel und Kobalt bereits seit langem als Allergene bekannt. Atemnot, trockener Husten, Tachypnoe, basales Knisterrasseln können auftreten wie im weiteren Verlauf Cyanose, Trommelschlegelfinger und Zeichen des Cor pulmonale. Diagnostische Hinweise können eine Schwermetallbestimmung im biologischen Material (Blut, Urin) geben.

Vorsicht: Die Suche nach verbliebenen Schadstoffen im Körper kann zu Mißverständnissen und zu voreiliger Ablehnung durch die Berufsgenossenschaft führen. Bei einer beruflichen Lärmerkrankung sucht man auch nicht Jahrzehnte später noch nach dem Lärm im Ohr. Im Rahmen der Asbesterkrankungen stellt man oftmals auch fest, daß der zu 90 % eingesetzte Weißasbest später nicht mehr im Körper bzw. in der Lunge auffindbar ist. Man spricht von einem sogenannten „Fahrerfluchtphänomen“.

Wichtig also bei der Lungenfibrose durch Hartmetallstäube sind die Arbeitsanamnese bzw. Arbeitsvorgeschichte, die üblichen Symptome und der Röntgenbefund der Lunge. Bezüglich der Inhaltsstoffe Chrom und Nickel wird im Merkblatt des BMA auf die entsprechenden Berufskrankheitenlistennummern hingewiesen. Es läßt sich nicht länger die Behauptung aufrecht erhalten, die Hartmetallexposition von Werkzeugschleifern wäre zu vernachlässigen. Insofern liegen neue arbeitsmedizinische Erkenntnisse vor. Die Lungenfibrose der Schweißer soll nicht unter Nr. 4107 fallen. Diese dürfte aber richtig unter die Berufskrankheit nach neuer medizinischer Erkenntnis gem. § 551 Abs. 2 bzw. § 9 Abs. 2 SGB VII entschädigungspflichtig sein.

Zur Statistik:

Jährlich werden über 60 bis an die 90 Fälle der Lungenfibrose durch Hartmetallstäube angezeigt. Verschwindend wenige Fälle werden neu berentet. Hier mag eine hohe Dunkelziffer vorliegen. Bei Lungenfibrosen wird auch im Asbestbereich oft auf eine angeblich schicksalhafte Entstehung abgehoben, und der Streit darum ist nachgerade heftig, unter welchen Voraussetzungen man die Lungenfibrose der entsprechenden beruflichen Belastung zurechnen kann.

5.3.8 Bösartige Neubildung der Atemwege und der Lungen durch Nickel oder seine Verbindungen, BK Nr. 4109

Nickel und seine Verbindungen werden in zunehmendem Maße in allen hochindustriellen Ländern verwendet. Die jährliche Weltproduktion betrug etwa 800.000 Tonnen. Der Anteil des Elementes Nickel an der Erdkruste wird auf 0,015 % geschätzt. Damit steht es in der Häufigkeitsliste an 24. Stelle zwischen Chrom und Strontium. Insgesamt finden heute über 3.000 verschiedene Nickellegierungen industriell und im privaten Bereich Verwendung. Der größte Teil der Nickelproduktion (ca. 60 bis 70 %) wird zur Stahlveredelung und zur Herstellung sogenannter Nickelbasislegierung benötigt. Ein Risiko besteht insbesondere bei der Aufbereitung und Verarbeitung von Nickelerzen zu Nickel oder Nickelverbindungen im Bereich der Raffination, bei der elektrolytischen Abscheidung von Nickel unter Verwendung unlöslicher Anoden, beim Herstellen und Verarbeiten von Nickel und Nickelverbindungen in Pulverform, beim Herstellen nickelhaltiger Akkumulatoren und Magnete, beim Lichtbogenschweißen mit nickelhaltigen Zusatzwerkstoffen, beim Plasmaschneiden von nickelhaltigen Werkstoffen, beim thermischen Spritzen mit nickelhaltigen Spritzzusätzen, beim Schleifen von Nickel und Legierungen mit erheblichem Nickelgehalt, bei der Elektrogalvanisation, bei der Fabrikation von nickelhaltigen Spezialstellen, beim Plattieren (mechanisches Vernickeln), bei der Verwendung von feinverteiltem Nickel als großtechnischer Katalysator in der organischen Chemie. Eine Exposition durch inhalative oder teilweise transkutane Aufnahme von Nickeltetracarbonyl kann bei der Herstellung von Nickel nach dem MOND-Verfahren vorliegen. Nickel kann über die Atemwege, aber auch über die Haut Eingang in den Körper finden. Insbesondere im Bereich der Nickelraffination findet sich ein erhöhtes Vorkommen von bösartigen Erkrankungen im Bereich des Bronchialsystems, der Nasenhaupt- und der Nasennebenhöhle und des Kehlkopfes. Beim Zusammentreffen von Rauchgewohnheit und beruflicher Nickelexposition können sich beide Ursachen in der Auswirkung wechselseitig hochschaukeln (Synkarzinogenese), weshalb die berufliche Ursache umso wesentlicher oder heftiger wirkt. An Gefährdungszeiten finden sich Fälle von einem bis 33 Jahren (Bronchialkrebs) oder von 3 bis 26 Jahren (Krebs der oberen Atemwege). Die Latenzzeit kann kürzer oder länger sein. In einem Einzelfall wurde gerichtlich das Kehlkopfkarzinom durch nickelhaltigen Schweißrauch nach über 30-jähriger Tätigkeit als Schweißer bestätigt. Sollten andere Zielorgane als die Lungen oder die Atemwege durch die Nickelgefährdung betroffen sein, kann sich ein Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit nach neuer Erkenntnis im Einzelfall bei der Berufsgenossenschaft empfehlen.

Tip: Schreiben Sie an die Berufsgenossenschaft und melden Sie damit Ihren Fall an. Bezeichnen Sie Ihre Erkrankung und die Unternehmen, in welchen Sie nickelexponiert gearbeitet haben. Die Berufsgenossenschaft ist verpflichtet, Ihnen hierzu einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen.

Zur Statistik:

Jährlich werden an die 30 Fälle angezeigt. Bis zu 16 Fälle wurden neu berentet und bis zu 16 Fälle jährlich hatten einen tödlichen Ausgang. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen.

5.3.9 Bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase, BK Nr. 4110

Frage: Warum wurde diese Listennummer nur auf Kokereirohgase bezogen, obwohl ähnliche Belastungen in Gießereien, im Straßenbau etc. vorkommen können, was die polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe anbetrifft?
(„Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren“ soll bis zur Aufnahme in die Berufskrankheitenliste „wie eine Berufskrankheit nach neuer Erkenntnis im Einzelfall“ zu entschädigen sein, § 9 Abs. 2 SGB VII.)

Aber zurück zu den bösartigen Neubildungen der Atemwege und der Lungen durch Kokereirohgase. Man unterscheidet je nach Höhe der Einwirkung der Temperaturen die Schwelung (450 bis 700 Grad) und die Verkokung (über 700 Grad), die Entgasung der Kohle beginnt bereits vor der Schwelung. Bei 100 bis 350 Grad tritt eine Vorentgasung ein. Es entweichen Wasserdampf, Sauerstoff, Kohlenmonoxyd, Kohlendioxyd, Methan und Stickoxyde. Bei höheren Temperaturen (bis 500 Grad) vollzieht sich die Hauptentgasung. Hier beginnt die thermische Zersetzung (Pyrolyse), bei der unter anderem eine Vielzahl von Kohlenwasserstoffen entsteht, darunter bei höheren Temperaturen auch polyzyklische aromatische Verbindungen (PAH). In den heute überwiegend eingesetzten Horizontalkammeröfen werden Koksendtemperaturen von 1.000 Grad und mehr erreicht. Die Gase am Ofenblock stammen aus allen Temperaturbereichen, die bis zu den Höchststufen der Kohleerhitzung durchlaufen werden. Das bei der Kohleverkokung erzeugte Rohgas wird in einem geschlossenen System auf Umgebungstemperatur abgekühlt, gereinigt und als Stadtgas (Brenngas) für Verbrennungszwecke abgegeben. Unter dem Ausdruck Kokereirohgase im Sinne dieser Berufskrankheit werden sowohl das so bezeichnete technische Produkt als auch Luftverunreinigungen verstanden, die beim Betreiben der Öfen, insbesondere beim Beschicken und Entladen der Kammern, aber auch aufgrund von Kammerundichtigkeiten am Ofenblock frei werden. Gefährdungen ergeben sich für das am Ofenblock und in seiner unmittelbaren Umgebung eingesetzte Personal, insbesondere Füllwagenfahrer, Einfeger (Deckenmann), Steigrohrreiniger, Teerschieber, Druckmaschinenfahrer, Kokskuchenführungswagenfahrer bzw. Koksüberleitungsmaschinist, Löschwagenfahrer, Türmann, Rampenmann. Mit Gefährdungen ist auch bei der Wartung von Rohgasleitungen zu rechnen, wenn solche Arbeiten regelmäßig durchzuführen sind und die Möglichkeit des Freiwerdens von Gasen besteht. Die Kokereigase enthalten eine Reihe krebserzeugender Substanzen, wie es heißt. Von besonderer Bedeutung für bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen sind PAH-Gemische. Die Atemwegstumoren durch Kokereirohgase unterscheiden sich in Verlauf und Systematik nicht von solchen anderer Verursachung.

Vorsicht: Trotzdem versucht man in Berufskrebsfällen der Atemwege immer wieder gutachterlich, andere Belastungen wie etwa das Rauchen (wörtlich) abzugrenzen, als ob nicht wesentliche Mitursächlichkeit der beruflichen Noxe bzw. Gefährdung ausreicht und der Gedanke, daß wesentliche Mitursächlichkeit der beruflichen Ursache genügt, voraussetzt, daß man die Ursachen hier nicht teilen bzw. abgrenzen kann.

Zu recht wird dann im Merkblatt am Ende festgehalten, daß hier eine Synkanzerogenese vorliegen kann.

Tip: Die Formulierung in einem Ablehnungsbescheid der Berufsgenossenschaft, man könnte die berufliche Gefährdung nicht von der privaten Gefährdung abgrenzen, beinhaltet immer einen Fehlansatz, und zwar einen ganz kapitalen Fehlansatz. Bei ein und demselben Ergebnis können ohne weitere Hinweise nicht die verschiedenen Kausalketten geteilt werden. Bei wesentlicher Mitursächlichkeit der beruflichen Ursache besteht Anspruch auf volle Entschädigung durch die Berufsgenossenschaft (Gedanke der Totalreparation).

Zur Statistik:

Jährlich werden über 30 Fälle neu angezeigt und knapp 20 neu berentet. Die Zahl der tödlichen Fälle bewegt sich auch auf die 20 Fälle zu. Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher liegen. Nicht eingerechnet sind offenbar bei diesen Fällen die Fälle einer PAH- bzw. PAK-Belastung in Teerraffinerien, in der Elektrographitindustrie, in der Aluminiumherstellung, in der Eisen- und Stahlerzeugung, in Gießereien, im Straßenbau, beim Dachdecken und die Belastung der Schornsteinfeger.

5.3.11 Exogen-allergische Alveolitis, BK Nr. 4201
5.3.12 Erkrankung der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll-, Rohflachs- oder Rohhanfstaub (Byssinose), BK Nr. 4202

 

Unfälle am Arbeitsplatz