D. Die Leistungen der Berufsgenossenschaft
3.7 Der Jahresarbeitsverdienst nach billigem Ermessen
Es gibt Fälle, in denen der Betroffene ausgerechnet im Unfalljahr unverhältnismäßig wenig verdient hat, wenn man die Tätigkeit und den Beruf im Unfallzeitpunkt zugrundelegt. So ist z.B. eine erhebliche Unbilligkeit dann festzustellen, wenn die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes auf einem Gehalt beruht, daß nur auf Grund einer vorübergehenden Notlage zur Überbrückung der finanziellen Schwierigkeiten des Arbeitgebers herabgesetzt ist. Das Gleiche kann gelten, wenn ein Wissenschaftler längere Zeit eine niedrig bezahlte Tätigkeit zu Versuchszwecken für seine Forschung ausübt und hierbei verunglückt. Eine Differenz von 20 % soll nach der Rechtsprechung nicht erheblich sein, eine solche von 40 % aber dann doch.
Fall: Eine Asbestarbeiterin verdient im Jahr vor Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit 1977 DM 21.000,–. Atemschutzvorkehrungen am Arbeitsplatz existieren nicht. Die durchschnittliche Asbeststaubbelastung beträgt durchgehend 100 Millionen Asbestfasern pro Kubikmeter Atemluft. 1996 erkrankt die Versicherte an einem tödlichen Asbestmesotheliom.
Angemerkt sei, daß ein Kubikmeter Atemluft in etwa einer Stunde vom Menschen ventiliert wird bzw. ein- und ausgeatmet. Die Betroffene mag Asbestmattennäherin oder Asbestspulerin gewesen sein.
Frage: Ist hier der Jahresarbeitsverdienst korrekt oder in erheblichem Maße unbillig? Muß nicht zusätzlich in den festgestellten Jahresarbeitsverdienst eine offenbar nicht berücksichtigte Gefahrenzulage einfließen? Wie würde man eine solche Gefahrenzulage berechnen?
Diese offenen Fragen richten sich in erster Linie an einen Sachverständigen, der den Wert respektive die Vergütung einer solchen Tätigkeit einzuschätzen hätte. In der Praxis weist eine Berufsgenossenschaft ein solches Ansinnen weit von sich, „die JAV-Feststellung dürfte nicht zur Korrektur schlechter Verdienstverhältnisse führen“. Bilden Sie sich selbst Ihre Meinung dazu, ob der erzielte Jahresarbeitsverdienst der Asbestarbeiterin unbillig niedrig war und ob bei Berücksichtigung der Erwerbstätigkeit der Asbestarbeiterin zur Zeit des letzten Tages der gefährdenden Tätigkeit diese Erwerbstätigkeit von der durchgehenden Gefahranlage her höher zu bewerten ist hinsichtlich des Jahresarbeitsverdienstes. Es handelt sich hier vorliegend nicht um einen Einzelfall.
3.8 Der Vergleichsjahresarbeitsverdienst
Bei Berufskrankheiten muß eine Vergleichsberechnung stattfinden, wenn ein Asbestkrebs etwa eintritt. Es wird zunächst der Jahresarbeitsverdienst vor Auftreten des Asbestkrebs ermittelt oder insoweit der Mindestjahresarbeitsverdienst, wenn der Versicherte aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Zum Vergleich wird dann der Jahresarbeitsverdienst ermittelt, der im Jahr vor Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit erzielt worden ist, mag der letzte Tag der gefährdenden Tätigkeit auch Jahrzehnte zurückliegen. So wollte es bislang die Vorschrift des § 572 RVO und nunmehr die neue Vorschrift des § 84 SGB VII.
Vorsicht: Es kann immer noch Fälle geben, in denen die Vergleichsberechnung von der Be-rufsgenossenschaft unterlassen worden ist.
Diese Unterlassung mag darauf beruhen, daß vor einiger Zeit das Bundessozialgericht auf den Gedanken gekommen war, eine solche Vergleichsberechnung dürfte nur dann stattfinden, wenn die gefährdende Tätigkeit auf Grund der Berufskrankheit aufgegeben wurde. Das Bundessozialgericht mußte sich dann revidieren, weil dies dann doch einigen Berufsgenossenschaften zu arg war, dieser Rechtsprechung zu folgen. Dem Berufskrankheitssachbearbeiter war immer vertraut, daß wir es etwa bei den Staublungen mit Spätschäden zu tun haben. In einer gewohnheitsrechtlich gefestigten Praxis zu § 572 RVO konnte dieser zwischenzeitliche Einwand des Bundessozialgerichts nur Verwirrung stiften, wenn man forderte, schon damals hätte der Betroffene subjektiv die gefährdende Tätigkeit wegen einer noch gar nicht vorhandenen Berufskrankheit aufgeben müssen. Der Gesetzgeber hat es nunmehr auch klargestellt, durch Einfügung eines Satzes 2 in § 84 SGB VII, daß die Vergleichsberechnung ohne Rücksicht darauf zurückzuführen ist, aus welchen Gründen die schädigende versicherte Tätigkeit aufgegeben worden ist.
3.9 Unfall während der Ausbildung
3.10 Die Pflege, das Pflegegeld
3.11 Die Leistungen bei Tod durch Arbeitsunfall oder Berufskrankheit:
Hinterbliebenenrente (Witwen-, Witwer-, Waisenrente), Beihilfe,
Sterbegeld usw.