Tanken

C. Sonderfälle von T

Berufskrankheiten – Übersicht A-Z

T wie Tanken

Fall: Eine Kellnerin, deren Heimweg von der Arbeit 130 km beträgt, sucht noch Samstags gegen 19:00 Uhr während des Heimweges kurz vor Erreichen des Zielortes die am unmittelbaren Heimweg gelegene Tankstelle auf und kommt auf dem Tankstellengelände zu Fall. Ihr Kraftfahrzeug, das bereits auf Reserve fuhr, wollte die Kellnerin auftanken, um für den 130 km langen Arbeitsweg am nächsten Morgen genug Sprit zu haben.

Wie würden Sie entscheiden? Das Bundessozialgericht führt hierzu aus, es wäre wertend zu entscheiden, ob das Handeln des Versicherten zur versicherten betrieblichen Tätigkeit bzw. wie hier zum Weg zu oder von der Arbeitsstätte gehört. Maßgeblich wäre bei der Wertung die Handlungstendenz des Versicherten, so wie sie insbesondere durch objektive Umstände des Einzelfalls bestätigt wird. Die Wertung des Bundessozialgerichts bei Anlegung des Maßstabes der Handlungstendenz führt dann dazu, daß das Bundessozialgericht hinsichtlich des Tankens eine versicherte Tätigkeit verneint und dieses nicht dem oder den versicherten Wegen zurechnet. Auch wäre für die Annahme einer unwesentlichen Unterbrechung des Weges in diesem Fall kein Raum.

Wörtlich: „Das Aufsuchen einer Tankstelle zum Betanken des für die Fahrt benutzten Kraftfahrzeugs stellt eine deutliche Zäsur innerhalb des versicherten Weges dar, die erheblich über die Erledigung eines privaten Geschäfts wie etwa die Besorgung von Zigaretten aus einem an der Straße aufgestellten Automaten, die das Bundessozialgericht als Beispiel für das Vorliegen einer solchen geringfügigen Unterbrechung genannt hat, hinausgeht, auch wenn die Tankstelle unmittelbar an dem Weg von oder zu dem Ort der Tätigkeit liegt.“

Wenn Sie es nicht glauben mögen, daß Sie zwar beim Zigarettenholen während des Wege versichert sind, im Fall, daß man Sie überfährt, aber nicht beim Auftanken eines Fahrzeuges, das bereits auf Reserve fährt und überdies noch für den nächsten Arbeitsweg von 130 km benötigt wird, so lesen Sie es bitte nach, BSG, Urteil vom 11.08.1998 – B 2 U 29/97 R in NJW 1999, Seite 84. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß das Sozialgericht und das Landessozialgericht offenbar die Berufsgenossenschaft zur Entschädigung verurteilt hatten, das Bundessozialgericht dann aber auf die Revision der Berufsgenossenschaft hin die Verurteilung der Berufsgenossenschaft aufhob.

Hinweis: Es ist nicht üblich, daß eine Berufsgenossenschaft in einem solchen Fall dem Berufsgenossenschaftsvorstand die Frage vorlegt, ob Revision eingelegt werden darf oder soll gegen die Verurteilung zur Entschädigung, hier des Unfalls der Kellnerin. Es erscheint als schwer vorstellbar, daß ein paritätisch aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzter Vorstand beschlossen hätte, hier Revision einzulegen.

Nach dem Sozialgesetzbuch ist der Berufsgenossenschaftsvorstand der außergerichtliche und gerichtliche Vertreter in den grundsätzlichen Fällen, wozu dann auch die Frage gehört, ob denn in einem solchen Fall Revision eingelegt werden darf oder soll.

Tip: Sie können in einem solchen Fall einen Mangel der Vertretung rügen.

Erstaunlicherweise hält dann aber das Bundessozialgericht bisher in diesem Zusammenhang selbst den grundsätzlichsten Fall aus dem Entschädigungsbereich für ein „laufendes“ Verwaltungsgeschäft außerhalb der gesetzlichen Vorstandszuständigkeit, als ob es Sache sein dürfte, daß der Vorstand der Berufsgenossenschaft als deren gesetzlicher und gerichtlicher Vertreter aus der Zeitung erfährt, die Berufsgenossenschaft habe in einem Grundsatzfall Revision eingelegt und damit Erfolg gehabt.

Hinweis: Das Bundessozialgericht hält offenbar die gesetzliche und gerichtliche Vertretung durch ehrenamtliche Vorstände im Grundsatzrechtsstreit für unpraktikabel.

Dabei geht es doch nur um die Frage, ob die Berufsgenossenschaft gezwungen sein muß, vorher grünes Licht für die Einlegung einer Revision beim Vorstand einzuholen oder bei den Vorstandsvorsitzenden. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, daß bislang die Vorstandszuständigkeit gemäß § 35 Sozialgesetzbuch IV zwischenzeitlich insofern aufgehoben wäre. Die Ablehnung der Entschädigung des Unfalls der Kellnerin im Zuge des Auftankens ihres Fahrzeugs ist ein Beispiel dafür, wohin eine vom Bundessozialgericht nicht näher definierte Wertentscheidung oder Wertung führt und der Maßstab der sogenannten Handlungstendenz. Hätte sich das Bundessozialgericht bei der Beurteilung an die praktische Lebenserfahrung gehalten, wäre das Gericht bei Heranziehung des Beispiels des (versicherten) Besorgens von Zigaretten bei geringfügiger Unterbrechung erst recht zum Ergebnis gekommen, daß das Auftanken des Fahrzeuges der Kellnerin erst recht unter Versicherungsschutz stehen mußte.

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